Aufgeteilt – Bisher war der VW Multivan ein Derivat des Transporters. Mit der neuen Generation ändert sich das, sie basiert auf der MQB-Plattform. Und fährt sich auch dementsprechend.
Es ist verwirrend. Seit Jahrzehnten war der VW-Bus einfach der VW-Bus. Egal ob als Nutzfahrzeug unter der Bezeichnung Transporter, als Caravelle für den professionellen Personentransport oder als Camper mit dem Namen California. Jetzt wird alles anders. Der neue Multivan 2022 erscheint auf den ersten Blick zwar als Nachfolger des 2016 eingeführten Multivan 6.1, hat sich aber tatsächlich zu einem komplett eigenständigen Modell entwickelt. Aufgebaut ist dieses auf der MQB-Plattform und beweist damit einmal mehr auf eindrückliche Art und Weise die Vielseitigkeit von Volkswagens Baukastenprinzip. Vom Polo bis zum Multivan ist damit alles machbar, was einen Quermotor hat.
Der T6 verbleibt indes in verschiedenen Varianten im Katalog, bis 2024 soll das so bleiben. Erst dann wird er durch den T7 ersetzt, der gemeinsam mit Ford im Rahmen einer Partnerschaft zwischen den beiden Automobilherstellern gebaut wird. Ganz schön kompliziert, das Ganze! Dazu kommt dann auch noch der ID Buzz auf Basis der MEB-Plattform. Bereits ab 2022 soll dieser als elektrische Neuinterpretation des T1 die Modellpalette ergänzen. Mit Multivan, T7 und ID Buzz wird also ein vielseitiges Dreigespann die Lücke des einstigen VW-Bus füllen.
Laut Volkswagen war es keine leichte Aufgabe, den klassischen Multivan in Angriff zu nehmen. Wie lässt sich eine Ikone neu erfinden, ohne sie zu verfälschen? Die Designer orientierten sich an früheren Modellen und schöpften ihre Inspiration aus den Linien des T3 und des T4. Aus technischer Sicht hat das neue Fahrzeug jedoch nichts mehr mit dem alten gemeinsam, der Multivan gab sein Nutzfahrzeugchassis zugunsten der MQB-Plattform auf. Das bedeutet auch, dass neue, andere Antriebe zur Verfügung stehen als im Nutzfahrzeugsektor. Eine der wichtigsten Neuheiten des Modells besteht nämlich im Antrieb mit Plug-in-Hybrid, der den Multivan auf kurzen Strecken (50 km nach WLTP-Zyklus) in ein lokal emissionsfreies Fahrzeug verwandelt. Diese Version, die mit dem Zusatz E-Hybrid vermarktet wird, nutzt den Antriebsstrang des Golf GTE. Er kombiniert einen 1.4-Liter-Turbobenziner mit einem Elektromotor und einer Lithium-Ionen-Batterie mit einer Kapazität von 13 kWh. Mit nicht weniger als 160 kW (218 PS) unter der Haube ist der E-Hybrid die leistungsstärkste Version im Katalog. Ergänzt wird die Flotte durch zwei Benzinmotoren mit wahlweise 100 kW (136 PS) oder 150 kW (204 PS) und einem Zweiliter-Dieselmotor mit 110 kW (150 PS). Letzterer wird aber erst nächstes Jahr auf den Markt kommen.
Eigenheit im Katalog
Leider nutzt der neue Multivan vorerst nur seine Vorderräder, um das Drehmoment seiner Motoren auf den Boden zu übertragen. Ein Mangel, der Raum für eine gewisse Eigenheit im Katalog lässt, wie Johannes Raspe, Lead-Engineer bei Volkswagen Nutzfahrzeuge, der AUTOMOBIL REVUE erklärte: «Wir wissen, dass die Allradversion für bestimmte Märkte wie die Schweiz sehr wichtig ist. Deshalb haben wir entschieden, den alten Multivan 6.1 weiterhin zu produzieren, aber ausschliesslich als 2.0 TDI 4Motion mit 204 PS.» Wer weiterhin in den Genuss des Allradantriebs kommen will, muss sich also zunächst auf den alten, aber immer noch bewährten Multivan verlassen. Doch offenbar arbeitet VW bereits an einer Version des Multivan mit Allradantrieb, die voraussichtlich 2024 auf den Markt kommen soll. Ihre Hinterachse wird rein elektrisch angetrieben, und die Kardanwelle entfällt dadurch. Diese Konstruktion ist ein Novum im Volkswagenkonzern, aber es ist zu erwarten, dass sie auch von anderen Modellen der Marke oder gar der Gruppe übernommen wird.
Alle Motorisierungen sind an ein Doppelkupplungsgetriebe gekoppelt, bei den Verbrenner ist es das Siebengang-DSG, der Plug-in-Hybrid muss mit sechs Gängen auskommen. Der Wählhebel ist in jedem Fall elegant auf dem Armaturenbrett verbaut, dank Shift-by-wire ist das Getriebe rein elektronisch angesteuert. Dasselbe gilt für die Handbremse, die sich nicht mehr zwischen den beiden Vordersitzen, sondern ebenfalls auf dem Armaturenbrett befindet.
Neben neuen Motoren bringt die MQB-Plattform Volkswagen auch in Sachen Sicherheit auf den neuesten Stand, insbesondere im Hinblick auf den Fussgängerschutz. Dies erklärt auch das stromlinienförmigere Aussehen des neuen Kombi, das sich aber nicht vorteilig auf den Luftwiderstand auswirkt: Der cW-Wert hat gegenüber dem Vorgänger von 0.30 auf 0.35 zugenommen. Ausserdem hat sich die Zahl der Assistenzsysteme deutlich erhöht – je nach Ausführung auf bis zu zwanzig. So ermöglicht der Fahrassistent IQ Drive teilautonomes Fahren, indem er den neuen adaptiven Tempomaten mit dem Spurhalteassistenten kombiniert.
Geringeres Ladevolumen
Der neue Multivan ist breiter (1941 mm), aber weniger hoch (1907 mm) und vor allem länger als sein Vorgänger, 4973 Millimeter bei der Kurzversion und bis zu 5173 Millimeter bei der Langversion. Dies geht zulasten des Innenraums: Mit 469 Litern hinter der dritten Sitzreihe verringert sich das Kofferraumvolumen der Kurzversion erheblich (vorher 720 l). Dasselbe gilt für die Anzahl Staufächer im Innenraum. Während sie bei der Version 6.1 noch zahlreich vorhanden waren, sind sie im Multivan verschwunden. Und dann wäre da noch das grosszügig eingesetzte Hartplastik im Armaturenbrett. Bei einem Nutzfahrzeug ist das akzeptabel, bei diesem neuen Modell, das stilvoller sein soll, ist es das hingegen deutlich weniger.
Diese Schwachpunkte werfen jedoch keinen Schatten auf die Vielseitigkeit des neuen Multivan. Mit seinem neuen, gut durchdachten Multifunktionstisch und dem neuen modularen Sitzsystem ist er flexibler denn je. Die Sitze lassen sich im Handumdrehen entfernen, können aber optional auch beheizt werden. Ermöglicht wird dies durch ein ausgeklügeltes System von Stromschienen im ganzen Innenraum. Darüber hinaus verfügen sie über einen Gurtalarm, der via Bluetooth mit dem zentralen Steuergerät verbunden ist. Vorerst bietet VW nur Einzelsitze an (drei für die Basisversion Multivan, vier oder fünf für die teureren Varianten Life und Style). Diese lassen sich nicht mehr wie früher um die eigene Achse drehen, sondern müssen ausgebaut und umgedreht werden, bevor sie wieder auf der Schiene platziert werden. Was bei leichteren Sitzen einfach vonstatten geht, gestaltet sich bei Sitzen mit einem Gewicht von nach wie vor 22 Kilogramm doch ziemlich mühsam.
Multivan oder Sharan Maxi?
Die Veränderungen der Fahrerposition im Multivan sind spektakulär. Beim Vorgänger sass der Fahrer noch sehr hoch – wie in einem Nutzfahrzeug eben –, das neue Modell hingegen fährt sich eher wie ein Kombi oder zumindest wie ein Minivan. Der Multivan hätte auch genauso gut Sharan Maxi heissen können, denn er fühlt sich eher wie ein grosser Minivan an denn wie ein Transporter. Der Van-Eindruck wird nicht nur durch die grosse Tiefe des Armaturenbretts und die doppelten A-Säulen verstärkt, sondern auch durch den Fahreindruck. Die Karosserie aus einem Guss, die präzisere Lenkung, der niedrigere Schwerpunkt, die schärferen Bremsen, die verbesserte Aufhängung und das geringere Gewicht ermöglichen dem Multivan ein dynamisches Kurvenfahren. Bei der Vorgängerversion, deren Nutzfahrzeugcharakter dem Fahrer bei jeder Lenkbewegung in Erinnerung gerufen wurde, war dies schlichtweg undenkbar. Zwar fehlt es dem kleinen 136-PS-Benzinmotor etwas an Schwung, der grössere Benziner lässt sich jedoch ganz flüssig fahren. Und auch der Plug-in-Hybrid vermag zu überzeugen. Das Drehmoment des Elektromotors ermöglicht ein ungewohnt zügiges Anfahren, und die Übergänge zwischen Elektro- und Verbrennungsmotor sind sanft. Das Handling gestaltet sich so ganz angenehm. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die aktuell noch nicht verfügbare Dieselversion am Ende das beste Bild abgeben wird.
Der Multivan kann ab sofort bei den Händlern bestellt werden, die offizielle Markteinführung erfolgt Anfang des nächsten Jahres. Kommen wir noch zum – attraktiven – Preis: Die Basisvariante mit 136 PS beginnt bei deutlich unter 50’000 Franken, genauer gesagt bei 47’840 Franken. Der Basispreis für die Hybridversion mit 218 PS liegt bei 55’400 Franken.
Olivier Derard
AUTOMOBIL revue